Weihnachtsbaumübergabe

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie kennen alle das Lied “Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie treu sind deine Blätter, Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit.”

Die Zeile „nicht nur zur Sommerzeit“, hat Heinrich Böll dazu animiert, eine Satire zu schreiben. Eine Satire mit dem Titel „Nicht nur zur Weihnachtszeit“. Heinrich Böll hat diese Kurzgeschichte 1947 geschrieben, zwei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Es geht darin um Tante Milla, die während des Krieges darauf verzichten musste, ihren Weihnachtsbaum kunstvoll zu schmücken und das Weihnachtsfest wie gewohnt zu zelebrieren. Der gläserne Baumschmuck, die gedrechselten Engel, die durch einen geheimen technischen Mechanismus vom Frieden flüstern, all dies hätte die nahen Bombeneinschläge und Verwüstungen nicht überstanden. Daher konnte sich die Familie, die ansonsten von schlimmen Kriegserfahrungen einigermaßen verschont blieb, einige Jahre lang nicht unter dem tröstlichen Baum versammeln.

Doch sofort nach Kriegsende lebte die Familientradition wieder auf und süßes, seliges Singen unter dem Weihnachtsbaum konnte wieder stattfinden, als ob nichts gewesen wäre. Die kitschige Vergewisserung, dass alles wieder gut ist, trieb Tante Milla am Weihnachtsabend ein verklärtes Lächeln ins Gesicht. Sie war so beseelt und versöhnt mit der Welt, dass sie, als es im Januar daran ging, den Baum wieder abzuschmücken und das trockene Gerippe zu entsorgen, in einen tagelangen Schreikrampf verfiel. Die tyrannisierte Familie wusste sich gegen diesen schreienden Wahnsinn nicht anders zu helfen, als von nun an stets eine weihnachtsgetreu geschmückte Tanne im Wohnzimmer vorzuhalten und jeden Abend eine halbe Stunde lang bei Kerzenschein, Marzipan und Spekulatius Weihnachtslieder zu singen – im Sommer bei geschlossenen Vorhängen und unter der Hitze leidend.

Im Laufe der Monate schien die Tante zwar geheilt zu sein, der Rest der Familie aber war dem Wahnsinn nahe. Das Ende vom Lied war, dass die Kinder ins Ausland oder ins Kloster flohen, der Onkel sich einer Geliebten zuwendete und die Familie zerfiel.

Meine Damen und Herren, unser Weihnachtsbaum hier und heute knüpft -wie der Baum von Bölls Tante Milla – an eine lange Tradition an. Dabei ist das Aufstellen und Schmücken des Weihnachtsbaums ursprünglich ein heidnischer Brauch. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit haben wir Christen das Symbol des Baumes übernommen: Der immergrüne Baum sollte als Paradiesbaum die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies versinnbildlichen. Und die Bäume wurden mit roten Äpfeln geschmückt – ein Symbol für die verbotene Frucht, die Eva verführte. So symbolisierte der Baum

  • auf der einen Seite die Vertreibung aus dem Paradies,
  • auf der anderen Seite den Geburtstag des Erlösers Jesus Christus,
    der durch Kreuzigung und Auferstehung Schuld und Unglück besiegt,
  • und gleichzeitig symbolisierte der Nadelbaum auch, dass der Fortgang der Zeit nur durch den stetigen Wandel möglich ist.

Darum geht es auch Heinrich Böll in seiner satirischen Kurzgeschichte: So schön Weihnachten ist, so schön der Weihnachtsbaum und die lieb gewonnene Tradition sind: Wir dürfen nicht vergessen, dass  Rituale immer an einen Zeitpunkt geknüpft sind; Auch Weihnachten hat seine Zeit und es ist wichtig dass wir genau dann anhalten, innehalten und Kraft schöpfen und uns unserer christlichen Wurzeln erinnern. Dann können wir gestärkt und kraftvoll weitergehen, neue Dinge anpacken und umsetzen, um uns dann im nächsten Jahr wieder zu diesem Ritual zu versammeln.

Glück, auch das Glück eines seligen Weihnachtsfestes, ist nicht beliebig verlängerbar. Umso wichtiger ist es, dass wir den glücklichen Augenblick bewusst wahrnehmen und dankbar genießen. Dann und nur dann kann solch eine Tradition befreiend, wohltuend und hilfreich wirken. Denn Traditionen tun uns Menschen gut. Ich glaube, sie sind sogar überlebensnotwendig.

Für uns Abgeordnete und für unseren Parlamentsbetrieb sind solche Traditionen vielleicht besonders bedeutsam:

  • sie geben Halt und Struktur in unserem Jahreskreislauf und Tagesablauf, der so wenig Gleichmaß und Routine kennt,
  • sie ermöglichen Entschleunigung und Entspannung in unserem oft so hektischen Beruf,
  • sie bieten Frieden und Gemeinschaft in einem Feld, das so viel Wettbewerb und Selbstbehauptung verlangt.
  • sie gehören zu unserer Religion und vermitteln uns, dass es etwas Höheres gibt als unser tägliches Geschäft

Deswegen freue ich mich sehr, dass wir auch heute wieder diese Zeremonie durchführen und diese traditionelle Weihnachtsbaumübergabe feiern dürfen. Dafür darf ich ganz herzlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen danken. Zum einen unserem Kollegen Thomas Blenke, der vor 19 Jahren auf die Idee kam, dass der Landtag eine Tanne aus dem Schwarzwald aufstellen sollte. Dieses Jahr ist es eine Weißtanne aus dem Höfener Gemeindewald. Ich danke daher ganz herzlich den Vertretern der Gemeinden Bad Wildbad, Enzklösterle und Höfen an der Enz, die für diese Baumspende verantwortlich zeichnen.

Lieber Herr Bürgermeister Mack, Herr Bürgermeister Dengler, Herr Bürgermeiser Stieringer, schön, dass Sie alle drei und mit kompetenter Begleitung heute zu uns gekommen sind, um uns diese wunderschöne Tanne zu übergeben und uns auf Weihnachten einzustimmen. Gemeinsam mit dem Landtagschor, über den wir uns schon sehr gefreut haben und der uns noch ein weiteres Gesangsstück hören lassen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Anders als 1947 leben wir heute in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Unter uns ist niemand mehr, der vom zweiten Weltkrieg traumatisiert wäre und sich krampfhaft an einem  Weihnachtsbaum als ein Symbol des Friedens festklammern müsste. Das heißt aber nicht, dass das überall so wäre. Denken wir an die Menschen in Syrien im Jemen, in Somalia, in der Ukraine oder Afghanistan und anderswo, deren Länder sich in Unruhen und Krieg befinden und wo es keine Möglichkeit gibt, inne zu halten und Besinnlichkeit zu pflegen.

Ohne Kitsch und Übertreibung: nehmen wir unseren Weihnachtsbaum als Symbol für Frieden und Zusammenhalt, nutzen wir die Traditionen, die uns unsere christliche Kultur bietet,

  • um inne zu halten,
  • um über den Alltag und den Tag hinaus zu denken

und uns des Lebens zu vergewissern.